Unter Büchern

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Dienstag, 10. Januar 2017

C(ecil) S(cott) Forester: Tödliche Ohnmacht

Copyright: Cornelia Conrad
So einen guten  und klugen Krimi habe ich schon
lange nicht mehr gelesen.
Seine Psychologie ist frisch und unglaublich modern – dabei wurde er schon 1935 geschrieben. Von einem Autor, der offensichtlich sehr viel wußte um seelische Abgründe – und um Manipulation.
Wer beim Namen Forester ins Nachdenken kommt (wo hab ich den Autorennamen nur schon mal gehört?): ja, genau, das ist der mit den „Hornblower“-Romanen. Und der das Drehbuch zum Film  „African Queen“  mit Katherine Hepburn und Humphrey Bogart geschrieben hat.
Die junge Marjorie ist unglücklich verheiratet mit Ted, einem grobschlächtigen Menschen, der seine Frau als Haus- und Sexskavin mißbraucht, der ausgesprochen cholerisch ist – und der es sich draußen, in Kneipen und Separées, gut gehen läßt, während zu Hause seine Frau die Kinder erzieht und den Haushalt bewältigt.
Eines Abends kommt Marjorie von einer Freundin nach Hause und findet ihre kleine Schwester Dot, die die Kinder hüten sollte, tot auf dem Küchenboden. Selbstmord?
Sehr schnell begreifen sowohl Marjorie als auch ihre Mutter, Mrs. Clair, daß der böse Ted ganz offensichtlich eine Beziehung mit Dot gehabt haben mußte; und als die Gerichtsmedizin feststellt, daß Dot schwanger war, ist für die beiden  klar: Ted hat Dot umgebracht. Aber was können sie tun? Nichts, glaubt Marjorie. Denn sie kann ihn nicht anzeigen – sie will und muß ihren Kindern die Schmach ersparen, Kinder eines Mörders zu sein.
Marjories Mutter, die Ted nie leiden konnte, schwört aber Rache. Und schmiedet einen heimtückischen Plan, wie sie Ted so richtig übel bestrafen kann. Die unscheinbare, freundliche ältere Dame, die immer so sanft und liebevoll daherkommt und der niemand auch nur einen bösen Gedanken zutraut,  entwickelt sich in ihrem Innersten zu einem brodelnden Vulkan, zu einer Rachegöttin, zu einer höchst gescheiten – und äußerst erfolgreichen! – Strippenzieherin, um an ihr Ziel zu kommen.
Da ist zum Beispiel der junge George, Kollege von Ted, der bei ihr zur Untermiete wohnt. Den verkuppelt sie peu a peu mit ihrer Tochter, und Marjorie und George verlieben sich (wie vorgesehen!)
heiß und sehnsuchtsvoll ineinander...
Es ist fast nicht zu glauben, daß sich 1935 ein Mann (!)  derart in die gequälte Seele einer jungen einfachen Frau hineinversetzen konnte.  Zum anderen ist die Atmosphäre der Kleine-Leute-Vorstadt von London unglaublich plastisch beschrieben; diese Enge, diese Spießigkeit, dieses  Ausgespähtwerden durch Nachbarn hinter zugezogenen Gardinen. Wie kann man dieser Hölle entkommen? Wie kann man sich seinen prügelnden, vergewaltigenden Eheman vom Leib halten? Forester nimmt eindeutig Stellung für die arme Marjorie – und allein diese mit-leidende Sicht des Autors durch Marjories Augen macht den Roman zu großer Lesefreude. Und ich habe mich beim Lesen an einen anderen Kenner weiblicher Seelen erinnert gefühlt: an Gustave Flaubert, der seine Emma ja auch mit ganz erstaunlichem Gespür beschrieben hat.
Mehr wird  aber hier jetzt  nicht verraten.
Die ersten paar Seiten lesen sich etwas trutschig, aber dann nimmt der Roman  Fahrt auf und man kommt nicht mehr los von dieser immer spannender werdenden Geschichte – die unweigerlich auf eine Katastrophe zusteuert.